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Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie ist die sogenannte Resilienz, also die Fähigkeit psychisch belastende Situationen auszuhalten, von großer Bedeutung. Im Interview erklärt Prof. Dr. Gregor Hasler wie wir unsere Resilienz stärken und in individuellen wie globalen Krisen zu mehr Gelassenheit finden.

Prof. Dr. Gregor Hasler ist ein vielfach ausgezeichneter Psychiater, Psychotherapeut und Neurowissenschaftler sowie Präsident der Schweizer Gesellschaft für Bipolare Störungen. Als Professor lehrt er Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Freiburg (Schweiz) und nutzt seine Expertise zu Themen wie Stressresilienz, Darm-Hirn-Achse und Psychopharmaka außerdem als Buchautor.

Interview mit Gregor Hasler über Resilienz und den Umgang mit Stress

Resilient sein, was bedeutet das überhaupt und kann man das trainieren?

Gregor Hasler: Resilienz ist ein neuer Begriff für psychische Widerstandskraft oder für Stressresistenz. Der Begriff enthält verschiedene Konzepte. Die bewusste Vermeidung von Stress halte ich für eine wichtige Strategie, resilient zu bleiben, obwohl diese Strategie selten in Ratgebern auftaucht.

Der Begriff Resilienz kommt aus der Materialforschung. Er bedeutet dort, dass eine physikalische Belastung einem Material überhaupt nichts anhaben kann, oder dass das Material fähig ist, nach der Belastung schnell in seinen ursprünglichen Zustand zurückzukehren.

Psychologisch meint dies, dass der Stress in mir entweder keine Stressreaktion auslöst oder eine Reaktion auslöst, die nur kurze Zeit anhält und nicht chronisch wird.

Um resilient zu bleiben, ist es deshalb wichtig, Stressreaktionen frühzeitig zu erkennen: Dazu gehören Veränderungen des emotionalen Erlebens, aber auch Veränderungen von Körperfunktionen sowie Veränderungen des Denkens und des Verhaltens.

Typische Stressreaktionen:

  • Emotionen: Angst, Erschöpfung, gedrückte Stimmung, innere Unruhe, Reizbarkeit, Energiemangel, Gefühl der Wert- und Sinnlosigkeit, Weinerlichkeit, Lustlosigkeit, fehlendes Interesse
  • Denken/Kognition: Zynismus, Pessimismus, Vergesslichkeit, Gedankenkreisen, fehlender Fokus, Unschlüssigkeit, Unfähigkeit zu planen, Hinausschieben von Aufgaben
  • Körper: Nackenverspannung, Durchfall/Verstopfung, unklare diffuse Schmerzen, Schlafstörungen, Appetitveränderungen
  • Verhalten: Blockade (Freezing), Flucht, Kampf
Gerade in der heutigen Zeit scheint Resilienz wichtiger denn je. Covid-19 bringt viel Unsicherheit und soziale Einschränkungen mit sich. Was macht das alles mit unserer Psyche?

Hasler: Ja, aktuell ist es besonders wichtig, resilient zu sein oder Resilienz aufzubauen. Der Pandemie-Stress ist komplex. Das Virus kann existentielle Ängste in Bezug auf Körper, Leben und Tod, auslösen. Die Maßnahmen können existentielle Ängste in Bezug auf die ökonomische Situation und den sozialen Status verursachen.

Wir dürfen nicht vergessen, dass Arbeitslosigkeit der größte soziale Risikofaktor für die Depression ist und damit das Suizidrisiko erhöht. Dazu kommt, dass durch die soziale Isolation wichtige Resilienz-fördernde Faktoren geschwächt werden, wie zum Beispiel soziale Unterstützung und körperliche Berührungen.

Können Existenzängste, Unsicherheit und Stress in einer solchen Situation, die sich nun schon über mehrere Monate erstreckt, bleibende gesundheitliche Schäden verursachen?

Hasler: Die Dauer von Stress ist ein sehr wichtiges Merkmal. Unser Hirn ist für kurzen Stress gut vorbereitet: Über Tausende von Jahren haben wir gelernt, den Stress eines Tierangriffs oder eines Unwetters auszuhalten. Weniger gut vorbereitet sind wir für anhaltenden Stress, zum Beispiel durch chronische Konflikte in der Familie oder am Arbeitsplatz. Die Pandemie und der Lockdown mit all der Ungewissheit stellen den typischen Stress dar, auf den wir nicht optimal vorbereitet sind. Wir müssen deshalb aktiv unsere entsprechende Resilienz aufbauen.

Welche Tipps haben Sie, um diese Krise psychisch gesund zu überstehen? Welche Faktoren sind am wichtigsten, wenn es darum geht ein resilienter Mensch zu sein?

Hasler: Mit der Steuerung unserer Aufmerksamkeit haben wir ein potentes Mittel, mit chronischem, diffusem Stress umzugehen. Wir sollten die Zeit bewusst einschränken, in welcher wir uns mit der Pandemie beschäftigen. Die restliche Zeit sollten wir uns auf positive Dinge fokussieren, zum Beispiel den Garten, ein gutes Buch, Sport etc. Ferner sollten wir vor Angst nicht passiv werden. Es ist wichtig, aktiv zu bleiben und eine Tagesstruktur zu haben.

Prof. Dr. Gregor Hasler, Experte für Stress, Resilienz und die Darm-Hirn-Achse

Laut Prof. Dr. Gregor Hasler fördern positive Gedanken und ein aktiver, strukturierter Lebensstil die Stressresilienz.

Welche Rolle spielt hierbei unser Darm? Was hat die Verdauung mit unserer Psyche zu tun und wie groß ist der Einfluss des Darms auf unsere Stressresilienz?

Hasler: Neue, ziemlich revolutionäre Studien zeigen, dass unser Darm ein wichtiger Player in unserer Resilienz ist. Besonders aufregend sind die Studien zu den Darmbakterien. Wenn man die Darmbakterien eines depressiven Patienten in den Darm einer Maus überträgt, wird die Maus ebenfalls depressiv.

Das zeigt, dass Darmbakterien einen kausalen Einfluss auf die Psyche und die Resilienz haben können. Dies passt mit Studienergebnissen zusammen, die zeigen, dass gewisse Nahrungsmittel, zum Beispiel fermentierte Produkte wie Joghurt, Kefir, Hüttenkäse, Parmesankäse, saure Gurken, Sauerkraut und Apfelessig oder die mediterrane Diät, die Resilienz stärken.

Was tun Sie persönlich, wenn Sie sich in einer psychisch belastenden Situation befinden? Welche Methoden wenden Sie an, um Ihren Stresslevel schnell wieder auf ein gesundes Niveau zu bringen?

Hasler: Ich versuche mich ganz auf den Augenblick zu konzentrieren. Dies mache ich, indem ich etwas bewusst ausführe, z. B. ganz bewusstes Gehen, mein Essen ganz bewusst genieße, oder mich in einen Text vertiefe. Ferner versuche ich, negative Gedanken früh zu erkennen und aus meinem Bewusstsein zu schieben. Das habe ich in einem Meditationskurs gelernt und seither geübt und erfolgreich angewandt. Eine weitere Strategie ist es, immer in Optionen zu denken. Was passiert, wenn Option A nicht möglich ist, gibt es eine Option B oder C?

Außerdem versuche ich auch, den Vorteil einer schwierigen Situation zu sehen. Den körperlichen Aspekt der Resilienz nehme ich sehr ernst. Ich habe einen regelmäßigen Tagesablauf und spaziere täglich mindestens 20 Minuten, steige Treppen und halte einen regelmäßigen Essrhythmus mit mindestens einer gekochten Mahlzeit pro Tag ein. Ferner versuche ich mich auf den größeren Kontext, die weitere Perspektive zu konzentrieren. Wenn man die Erde vom Mond aus betrachtet, werden die irdischen Probleme oft ziemlich klein.

Sehen Sie trotz der offensichtlichen negativen Folgen auch positive Aspekte des neuen Alltags, aus denen wir sogar Kraft schöpfen und unsere Resilienz steigern können?

Hasler: Viele meiner üblichen Aktivitäten, die besonders viel Spaß machen, fallen jetzt weg, zum Beispiel Kongressreisen, Vorträge, der Austausch mit Berufskollegen. Das gibt mir die Gelegenheit, mich intensiver mit den restlichen Aspekten meines Lebens zu befassen, mit meiner Familie, dem Quartierleben, der wissenschaftlichen Beschäftigung in meiner Arbeitsgruppe. Ich nehme viele Dinge stärker wahr als früher und stelle mir dabei wichtige Fragen. Was ist mir wirklich wichtig im Leben? Das ist nicht nur eine Belastung, sondern auch eine Bereicherung.

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