Dr. Sarah Schwitalla hat sich die Prävention chronischer Darmerkrankungen zur Lebensaufgabe gemacht. Im Interview betont die Wissenschaftlerin die enorme Wichtigkeit einer darmgesunden Ernährung für den Körper und erklärt, warum Brokkoli mit Schokolade besser ist als gar kein Brokkoli.

 

Dr. Sarah Schwitalla ist promovierte Biochemikerin, Dozentin und Public Health Consultant mit über acht Jahren Erfahrung in der biomedizinischen Forschung zu Darmerkrankungen und Krebs an der TU München und Harvard Medical School (USA).

Anfang 2019 gründete sie die Public Health Initiative „virtuelles Zentrum für Darmgesundheit“ mit Angeboten für Betroffene auf Basis aktuellster, wissenschaftlicher Erkenntnis zur Prävention und Verbesserung von Darmerkrankungen und Verdauungsstörungen.

Als Public Health Consultant berät Dr. Sarah Schwitalla Firmen und das öffentliche Gesundheitswesen zu Präventionsstrategien von chronischen Darmerkrankungen und Verdauungstörungen und bietet Fortbildungen, Seminare und Vorträge für Fachpublikum, Ärzte, Heilpraktiker und Ernährungsberater an. Aktuell arbeitet sie als Autorin an ihrem ersten Buch, das 2021 erscheinen wird.

 

Interview mit Dr. Sarah Schwitalla über darmgesunde Ernährung

Sie bezeichnen sich auf ihrer Website als Brokkoli-Lobbyistin. Warum?

Dr. Sarah Schwitalla: Brokkoli gehört leider bei vielen Menschen zu den unliebsamen Lebensmitteln. Dabei belegen Studien und präklinische Untersuchungen, dass Kohlgemüse und allen voran Brokkoli zu den gesündesten Nahrungsmitteln mit dem größten krebsvorbeugenden, entzündungshemmendem und „Detox“-Potential gehört.

Diverse epidemiologische Studien zeigen beispielsweise eine konsistente Verbindung zwischen der Höhe des Konsums von Kohlgemüse und einem signifikant niedrigeren Krebsrisiko des Magens, des Darms und der Lunge. Leider haben die gesündesten Lebensmittel in der Regel keine Lobby.

Als „Brokkoli Lobbyist“ empfehle ich daher jedem aus wissenschaftlicher Sicht, aufgrund der gesundheitlichen Vorteile und der kulinarischen Vielseitigkeit von Brokkoli, mehr davon zu essen.

Welchen Einfluss hat ein gesunder Darm auf das allgemeine Wohlbefinden und welche Krankheiten können verhindert werden?

Dr. Schwitalla: Aufgrund seines dichten Nerven-Netzwerks wird der Darm oft als zweites Gehirn bezeichnet. Dieses Nervennetz ist nicht isoliert, sondern steht natürlich im permanenten Austausch mit dem Gehirn, in dem auch unsere Emotionen entstehen. Alles, was der Kopf denkt oder fühlt, translatiert sich mehr oder weniger bewusst auch im Darm und seinem Wohlbefinden.

Die Studienlage zeigt diese nervliche Verbindung zum Beispiel in einem mehrfach erhöhten Risiko für ein Reizdarmsyndrom unter posttraumatischem Stress. Umgekehrt weisen Reizdarm-Betroffene ein deutlich erhöhtes Risiko für Depression und Angststörungen auf.

Es gibt bereits erste Ansätze Depression durch die Gabe von Probiotika zu lindern, aber bisher noch ohne eindeutige Evidenz. Darüber hinaus ist seit Längerem eine Korrelation zwischen dem Darm-Mikrobiom und auch chronischen Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ 2, metabolischem Syndrom, Krebs, Autismus usw. bekannt.

Die Ausprägung einer chronischen Krankheit hängt immer von vielen Faktoren ab, bei denen der Zustand des Mikrobioms ein bedeutender sein kann, aber in vielen Fällen muss die eindeutige Kausalität noch bewiesen werden.

Es gibt jedoch bereits solide Studien, die eine Produktion ungünstiger, biochemischer Stoffwechselprodukte der Darmflora als unabhängigen Risikofaktor identifiziert haben bei der Entstehung von kardiovaskulären Erkrankungen, Atherosklerose, Darmkrebs oder COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankung) und erhöhter Sterblichkeit durch diese Krankheiten.

Wie sieht Ihr persönlicher Ernährungsplan aus? Was essen Sie an einem normalen Tag morgens, mittags und abends?

Dr. Schwitalla: Ich esse am liebsten sehr vielseitig und variiere meine Mahlzeiten täglich, es ist also nicht so leicht einen „normalen Tag“ zu beschreiben. Beispielsweise gab es heute morgen gebackene Süßkartoffeln mit Curry-Tempeh und Microgreens, Obst und Haferflocken-Leinsamen-Kekse, mittags einen Rucolasalat mit Brokkoli, Kichererbsen, Zucchini, Buchweizen und Cashewkern-Pesto sowie eine Portion Obst und abends einen scharfen Chili-Gemüse-Eintopf mit Bohnen und Buchweizen, ein veganes Bananen-Schoko-Eis, Nüsse und Himbeeren.

Was ist gesünder: Jeden Tag einen ungesunden Snack zu sich nehmen oder sich sechs Tage die Woche komplett gesund zu ernähren und am siebten Tag einen Cheat-Day einzulegen, an dem alles erlaubt ist?

Dr. Schwitalla: Warum sollte etwas nicht erlaubt sein? Genuss sollte man sich generell nicht verbieten. Auch gesundes Essen sollte Freude bereiten.

Die Studienlage zeigt, dass das Darm-Mikrobiom auf kurzzeitige dramatische Ernährungs-Veränderungen (beispielsweise von einer Ernährung basierend auf überwiegend tierischem Eiweiß auf eine pflanzlich betonte Ernährung) bereits nach 24 Stunden mit einer Veränderung in der Zusammensetzung und im Stoffwechsel reagiert. Wird diese Ernährungs-Veränderung jedoch nicht dauerhaft beibehalten, wird der derzeitige, stabile Ausgangszustand des individuellen Mikrobioms wieder hergestellt.

Dr. Sarah Schwitalla, Expertin für darmgesunde Ernährung

Dr. Sarah Schwitalla plädiert für eine darmgesunde Ernährung, um Darmerkrankungen zu verhindern, bevor sie entstehen.

Die menschliche Darmflora ist damit ein sehr robustes „Organ“, das zwar auf kurzzeitige Einflüsse ein wenig reagiert (wie beispielsweise ein üppiges Festmahl, das man sonst vielleicht nicht täglich isst) aber sich in größerem Maße nur durch die langfristige Ernährungsweise wirklich nachhaltig beeinflussen lässt – sowohl positiv als auch negativ.

Wichtig für einen gesunden Darm und Körper ist also in erster Linie die solide, gesunde Zusammenstellung der Ernährung über die der Körper die Möglichkeit hat, täglich in ausreichendem Maße seine Nährstoffe für die Zellregeneration und die Krankheitsprävention zu beziehen.

Was ist die schwerwiegendste Ernährungssünde, die wir als Gesellschaft begehen?

Dr. Schwitalla: Eine der größten Kohortenstudien der Welt, die „Global Burden of Disease Study“ belegt, dass der größte Faktor in der heutigen Ernährung, der in Zusammenhang steht mit erhöhter Mortalität durch chronische Volkskrankheiten, ein zu hoher Salzgehalt ist. Dicht gefolgt auf Platz zwei steht dabei eine Ernährung, die zu wenig Vollkorn enthält, Platz drei: zu wenig Obst, Platz vier: zu wenig Nüsse und Samen, usw.

Wir sehen anhand vieler solider Studien, dass es den Menschen in ihrer Ernährung zu oft an vollwertigen, unverarbeiteten Lebensmitteln fehlt, was langfristig das Risiko für chronische Krankheiten (u.a. diverse Darmerkrankungen) und daran zu sterben signifikant erhöht. Oft ist es also nicht nur das, was wir essen, sondern was wir nicht essen, was auf Kosten der eigenen Gesundheit gehen kann.

Angenommen ich möchte alles dafür tun, damit es meinem Darm bis ans Ende meines Lebens gut geht. Welche Tipps sollte ich unbedingt beherzigen?

Dr. Schwitalla: Der größte, alltägliche und wirksamste Faktor für den Erhalt der Darmgesundheit, den jeder selbst beeinflussen kann, ist die Ernährung. Eine gut zusammengestellte Ernährung erfüllt in Bezug auf die Darmgesundheit drei Funktionen: Unterstützung einer geregelten Verdauungsleistung, Gewährleistung einer gesunden Darmepithel-Regeneration und die Aufrechterhaltung der Mikrobiom-Gesundheit.

Das wird im Wesentlichen gegeben durch eine Ernährung mit einem möglichst hohen Ballaststoffgehalt, abwechslungsreich und bunt (farblich) zusammengestellt, arm an gesättigten Fetten und tierischen Eiweißen sowie wenig industriell verarbeitet.

Gibt es etwas, was Sie gerne essen, obwohl es nicht gut für ihren Darm ist?

Dr. Schwitalla: Genuss ist bei mir immer eine Voraussetzung beim Essen. Lecker und gesund dürfen sich niemals ausschließen. Auch Desserts oder Kuchen lassen sich beispielsweise kinderleicht nährstoffreich und gleichzeitig unglaublich köstlich zubereiten. Zum Beispiel Schokoladen-Brownies (mit Süßkartoffeln, Kakao, Mandeln und Datteln als Basis) oder auch Schokoladen-Mousse, der Bananen, Mandelmus und Avocado die cremige Konsistenz verleihen.

Wie perfektionistisch muss man sein, um ernsthafte Krankheiten zu vermeiden? Ist es nötig, alles Ungesunde für immer zu verbannen oder reicht es, sich z.B. zu 90 Prozent gesund zu ernähren?

Dr. Schwitalla: Perfektionismus beim Essen (bis hin zur Orthorexie) geht oft zu Lasten von Genuss und Natürlichkeit der Nahrungsaufnahme. Vielleicht sollten wir uns von dem Gedankenkonstrukt verabschieden, dass Genuss und gesundes Essen sich ausschließen, und weniger strikt mit uns sein, um die Freude am Essen nicht zu verlieren und die übertriebene reduktionistische Betrachtung von Ernährung ausschließlich auf den Erhalt der Gesundheit nicht den Alltag dominieren zu lassen.

Wichtig ist, wie erwähnt, dass der Großteil der täglichen Ernährung aus vollwertigen, nährstoffreichen Lebensmitteln besteht. Je mehr davon, desto besser: Wenn man seinen Brokkoli nur mit Schokolade isst, dann lieber so, als gar keinen Brokkoli.

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