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Jeder von uns hat sich schon mal elend gefühlt oder hätte den Tag am liebsten im Bett verbracht, weil alles gerade gefühlt total schiefläuft. Wenn dich aber ständig eine anhaltende gedrückte Stimmung, Müdigkeit, und Symptome wie Schlaflosigkeit, Appetitstörungen oder Schmerzen plagen, hast du eventuell mögliche Anzeichen einer Depression. Klar willst du so schnell wie möglich wissen, was du tun kannst, um deine Symptome zu verbessern. Therapien reichen über Psychotherapie, unterschiedliche Medikamente bis hin zu der sogenannten Vagusnerv-Stimulation (VNS). Was genau hinter dem Verfahren der VNS steckt und wann diese eine mögliche Therapieoption ist, erfährst du im folgenden Artikel.

In diesem Artikel erfährst du,

  • was der Vagusnerv ist,
  • welche Rolle der Vagusnerv bei Depressionen spielt,
  • was man unter Vagusnerv-Stimulation (VNS) verstehst und wie diese funktioniert,
  • wie die aktuelle Studienlage zur Vagusnerv-Stimulation aussieht,
  • welche Nebenwirkungen oder Komplikationen es bei dieser Therapie geben kann
  • und wo und bei wem die Vagusnerv-Stimulation durchgeführt wird.

Zusammenhang Vagusnerv und Depressionen

Was ist der Vagusnerv?

Der Vagusnerv, auch Nervus vagus genannt, ist der längste unserer zwölf Hirnnerven. Er gehört zum Parasympathikus, welcher dir vielleicht schon einmal unter dem Namen Erholungs-Nerv begegnet ist. Dieser Teil des Nervensystems beeinflusst zum Beispiel deine Entspannung, deine Herzfrequenz, deine Atmung und deine Verdauung. Er regeneriert quasi den Organismus. Damit ist der Vagusnerv Teil des vegetativen Nervensystems, welches automatisch und ohne Einschaltung des Willens arbeitet.

Der Vagusnerv beginnt im Gehirn, verläuft durch den Hals, erstreckt sich über den Brustraum, spaltet sich in linken und rechten Vagus und spielt bei der Funktion fast jedes Organs eine wichtige Rolle. Daher passt sein Name auch sehr gut zu ihm, denn das Wort „vagus“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „wandern“.

Die bis zu 100.000 Nervenfasern des Vagusnervs leiten Informationen aus der Peripherie deines Körpers ins Gehirn und senden von dort auch wieder Signale zurück, die so regulierend in diesen Bereich deines Körpers eingreifen können. Kein Wunder also, dass er auch bei der Steuerung deines psychischen Befindens wichtig ist.

Warum ist der Vagusnerv so wichtig für deine Psyche?

Die Erkenntnis, dass der Vagusnerv die Psyche beeinflusst, verdankt man einer zufälligen Entdeckung aus dem 18. Jahrhundert. „Ein Arzt drückte bei einem Patienten im Halsbereich auf diesen Nerv und erkannte, dass sich dadurch dessen epileptische Anfallsrate verringert.“ 

Neben Herzschlag, Verdauung und Atmung beeinflusst der Vagusnerv nämlich auch die Produktion von Neurotransmittern wie Serotonin, Noradrenalin und γ-Aminobuttersäure, kurz GABA, in deinem Gehirn.

Wie wichtig dieser Einfluss für dich sein kann zeigt sich, wenn es dir an einem dieser Botenstoffe mangelt. Serotoninmangel wird zum Beispiel mit:

  • Schlafstörungen,
  • Erschöpfung, Angstzustände und
  • Depressionen in Verbindung gebracht.

Ein Mangel an Noradrenalin kann mit:

  • Depression,
  • Konzentration- und Motivationsstörungen

einhergehen und bei fehlendem GABA kann dies bei dir:

  • Angst und
  • Depressionen

auslösen.

Auch wenn der Vagusnerv nicht alleine für das Entstehen dieser psychiatrischen Erkrankungen verantwortlich ist, spielt er eine wichtige Rolle für deine psychische Gesundheit. Grund genug also, sich im Folgenden mit der Stimulation dieses Hirnnervs und der Auswirkung auf das Erkrankungsbild der Depression zu beschäftigen.

Übrigens kann sich auch ein ständiger Mangel an Flüssigkeit negativ auf deine geistige Gesundheit auswirken. Mehr dazu verrät dir unser Artikel Depression: Darum schadet zu wenig trinken der Psyche.

Ein älteres Paar liegt entspannt zusammen im Bett und schläft aneinandergekuschelt.

Der Vagusnerv beeinflusst neben Herzschlag, Verdauung und Atmung auch die Psyche.

Wusstest du, dass die Vagusnerv-Stimulation (VNS) ursprünglich gar nicht zur Behandlung der Depressionen entwickelt wurde? Denn die erste Transplantation eines Vagusnerv-Stimulators erfolgte 1988 bei einem Epilepsiepatienten, für die diese Therapietechnik entwickelt wurde. Aus der klinischen Beobachtung heraus, dass Epilepsiepatienten mit Depressionen unter der Behandlung mit der VNS eine deutliche Stimmungsbesserung erfuhren, wurde diese Methode 2006 auch für die Behandlung von schweren therapieresistenten Depressionen zugelassen.

Vagusnerv und Darm? Welche Zusammenhänge gibt es noch?

Der Vagusnerv kann aber noch für andere gesundheitliche Auswirkungen bei dir verantwortlich sein. So fungiert er als eine Art Datenautobahn zwischen deinem Darm und deinem Gehirn. Diese Verbindung kennst du sicher bereits als „Darm-Hirn-Achse“.

Ein Patient unterhält sich mit seinem Arzt.

Der Darm wird auch von der Psyche beeinflusst.

Über diese Verbindung kommen zum Beispiel dein Ärger und Stress im Darm an und bei Verdauungsproblemen bekommst du schlechte Laune. Doch wenn in einem der beiden Schaltzentralen der Darm-Hirn-Achse die Signale nicht mehr richtig reguliert werden, kann sich zum Beispiel bei dir ein Reizdarmsyndrom entwickeln. Die Zusammensetzung deiner Darmflora hat im Übrigen ebenfalls einen großen Einfluss auf dein seelisches Wohlbefinden, auch hier werden die Signale über den Vagusnerv weitergeleitet.

Der Darm ist das einzige autonome Organ in deinem Körper. Er steht zwar durch den Nervus vagus in direktem Kontakt zu deinem Gehirn - funktioniert aber komplett selbständig. Laut Wissenschaftler könnte das daran liegen, dass du verrückt werden würdest, wenn dir den ganz Tag lang bewusst wäre, wo dein Darm gerade was verdaut. Die Menge an Informationen ist nicht nur enorm groß, sondern wäre auch völlig unwichtig für dein Gehirn.

Die Vagusnerv-Stimulation

Was versteht man unter einer Vagusnerv-Stimulation?

Durch die Beobachtung, dass man beim Drücken auf den Vagusnerv epileptische Anfälle beeinflussen kann, begann die Entwicklung von neuromodulatorischen Geräten, die den Nerv automatisch elektrisch stimulieren können.

Bei diesen Geräten handelt es sich um die sogenannten Vagusnerv-Stimulatoren. Sie sind im Durchmesser etwa 5 cm groß und wiegen ca. 56 g. Das Stimulationssystem wird, vergleichbar einem Herzschrittmacher, vollständig in deine Schlüsselbeinregion im Hals implantiert. Dabei umwickelt eine Elektrode im Hals deinen linken Vagusnerv, die mit dem Pulsgenerator, dem Gerät, dass die Vagusnerv-Stimulation herbeiführt, verbunden ist.

In der Regel werden dabei rund um die Uhr im Abstand von zum Beispiel fünf Minuten für 30 Sekunden eine Stimulation deines Nervus vagus ausgelöst. Dein Hirnnerv wird so mit regelmäßigen Impulsen stimuliert, die anschließend ans Gehirn weitergegeben werden. 

Dort kommen sie im limbischen System an, einem Randgebiet deines Gehirns, welches sowohl die hormonale Steuerung also auch das vegetative Nervensystem beeinflusst. Dabei werden auch die Botenstoffe Serotonin und Noradrenanlin reguliert, was wiederum einen Einfluss auf deine emotionalen Reaktionen hat. Der Wirkmechanismus der Vagusnerv-stimulation bei Depression ist allerdings derzeit noch nicht vollständig geklärt.

Frau nimmt eine Tablette und hält ein Glas in der Hand.

Wenn Medikamente nicht helfen, kann eine Vagusnerv-Stimulation zum Ziel führen.
Die Implantation des Vagusnerv-Stimulators erfolgt unter Vollnarkose und dauert zwischen einer und zwei Stunden. Die Operation ist komplikationsarm und wird üblicherweise von Neurochirurgen durchgeführt.

Wer ist für die Vagusnerv-Stimulation geeignet?

Leider gibt es immer wieder Patienten mit Depressionen, die nicht oder nur unzureichend auf klassische Therapien wie Psychotherapie, Medikamente oder andere Verfahren ansprechen. Diese Daten zeigen auf, wie wichtig alternative Therapieoptionen im Bereich der psychischen Erkrankungen sind.

Die VNS wurde in 2006 für Patienten mit schweren therapieresistenten Depressionen, durch die amerikanische Regulationsbehörde für Arzneimittel (FDA) zugelassen. Therapie-resistent bedeutet: depressive Patienten, die auf mindestens 4 durchgeführte medikamentöse Behandlungsversuche nicht angesprochen haben oder bei denen eine medikamentöse Behandlung nicht möglich ist.

Die Behandlung der VNS ist auch bereits seit 1988 für Epilepsie-Patienten zugelassen.

Wie effektiv und sicher ist die VNS-Therapie?

In einer 5-Jahres Studie in den USA aus 2017 wurden 795 Patienten mit therapieresistenter Depression untersucht. Diese Patienten hatten bereits durchschnittlich 8.2 fehlgeschlagene Therapieversuche erlebt. 494 von diesen Patienten erhielten eine Vagusnerv-Stimulation zusätzlich zu ihrer normalen Behandlungsmethode (VNS-Gruppe). 301 Patienten stellten die Kontrollgruppe dar und erhielten weiterhin ihre normale Behandlungsmethode ohne VNS.

Für fast alle untersuchten Kriterien der Studien zeigten die Patienten in der VNS-Gruppe deutliche Vorteile verglichen mit der Kontroll-Gruppe. So sprachen zum Beispiel deutlich mehr VNS-Patienten auf einer Skala bezüglich ihrer depressiven Symptome (MADRS-Skala) auf die Therapie an, was bedeutet, dass sich der Wert auf der Skala bei ihnen um mindestens 50% verbesserte.

Insgesamt zeigen Studienergebnisse eine 30-50% Wirksamkeit, allerdings erst nach 9-15 Monaten. Du solltest also unbedingt etwas Geduld mitbringen, wenn die VNS eine Option für dich oder dein Umfeld sein sollte. Selbstverständlich darfst du auch hier keine Wunder erwarten, denn nicht jeder Patient spricht auf die Behandlung der VNS an.

Welche Nebenwirkungen der VNS sind möglich?

Nebenwirkungen der Vagusnerv-Stimulation sind im Allgemeinen nur leicht ausgeprägt. Die Operation selbst kann bei dir Schmerzen im Bereich der Narben verursachen. Patienten berichten zudem über Heiserkeit, eine veränderte Stimme und Husten, die aber im Verlauf der Behandlung weniger intensiv werden. In den bisherigen Studien gab es keine schweren und unerwünschten Ereignisse durch die VNS, so dass die Behandlungsmethode als sehr gut verträglich angesehen wird.

Insgesamt bedeuten die Studienergebnisse aber, dass die VNS-Therapie bei diesen speziellen Patienten eine weitere Therapieoption darstellt, mit belegter Wirksamkeit und einem guten Sicherheitsprofil.

Wie funktioniert die VNS in der Praxis?

Im medizinischen Bereich stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung: die invasive Stimulation, bei der der Stimulator wie oben beschrieben vollständig in deinen Körper transplantiert wird sowie die nicht-invasive Stimulation. Hierbei werden, ähnlich wie Akkupunktur-Nadeln, spezielle Elektroden außen an dein Ohr gesetzt und so der dort verlaufende Teil des Vagusnervs stimuliert. Auch bei dieser Methode gibt es einen Pulsgenerator, der außen auf deinen Halsbereich befestigt wird.

So kannst du als Patient den Stimulator nach einer Schulung selbst bedienen. Allerdings steckt das nicht-invasive Verfahren noch in den Kinderschuhen, weshalb es noch nicht weit verbreitet ist und auch nicht von den Krankenkassen bezahlt wird.

Die Kosten der invasiven VNS-Methode werden nach sorgfältiger Prüfung durch die Krankenkasse übernommen. Aber auch erst, wenn alle anderen Behandlungs-möglichkeiten ausgeschöpft sind.

Warum die Stimulation des Nervus Vagus bei Depressionen helfen kann

Der Vagusnerv ist dein 10. Hirnnerv und die Verbindung zwischen deinem Gehirn und fast allen Organen in deinem Körper. Über diesen Nerv werden Signale und Informationen vom Gehirn in den Körper und umgekehrt geschickt. Auch wichtige Botenstoffe wie Serotonin und Noradrenalin werden durch deinen Vagusnerv beeinflusst.

Da ein Mangel dieser Botenstoffe unter anderem mit depressiven Symptomen in Zusammenhang gebracht werden, war die Idee einer Stimulation dieses Nervs nur verständlich. Die Vagusnerv-Stimulation (VNS) ist heute für die Behandlung von schweren therapieresistenten Depressionen zugelassen. Sie zeigt bei diesen Patienten nicht nur gute Erfolge, sondern ist auch gut verträglich. So steht gerade für diese schwer betroffenen Menschen eine weitere Therapieoption der Depression zur Verfügung.

Quellen:

  • https://dgkn.de

  • https://www.aerzteblatt.de

  • Fiedler U, Baibouj M. Neuromodulation durch Vagusnervstimulation bei Depression. J Neurol Neurochir Psychiatr 2007; 8 (4): 22–8.

  • Aaronson ST. et al. A 5-Year Observational Study of Patients with Treatment-Resistant Depression Treated with Vagus Nerve Stimulation or Treatment as Usual: Comparison of Response, Remission, and Suicidality. Am J Psychiatry 2017; 174:640–648.

  • Sackheim HA et al. Vagus Nerve Stimulation (VNS™) for Treatment-Resistant Depression: Efficacy, Side Effects, and Predictors of Outcome. Neuropsychopharmacology (2002). 25:713–728.

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Medizinisch geprüft durch
Dr. rer. nat. Dinah Murad 

Dr. Dinah Murad fungiert als unabhängige medizinische Beraterin an der Schnittstelle von Wissenschaft und Marketing. Darmgesundheit ist für sie ein unterschätztes, aber überaus wichtiges Thema. Sie verantwortet die medizinische Prüfung aller Inhalte für unsere Leser.

Geschrieben von
Dr. Silke Nahde  

Dr. Silke Nahde ist promovierte Mikrobiologin, war als Fachreferentin Zentrales Nervensystem beim Arzneimittelhersteller AstraZeneca tätig und leitete interne sowie externe medizinische Trainings für das Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline Consumer Healthcare. Sie unterstützt Digestio seit dem Launch als Stammautorin.

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