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Das Leaky-Gut-Syndrom ist für Betroffene ein großes Ärgernis und viele wünschen sich eine Heilung. Auch wenn der Leaky Gut selbst ein lebenslanges Problem darstellt, lassen sich die Symptome mit der richtigen Behandlung und Ernährung oft stark lindern. Wie das geht, verrät uns Darmexperte Professor Dr. Martin Storr.

Professor Dr. Martin Storr ist Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie am Zentrum für Endoskopie in Starnberg.

Sein Schwerpunkt liegt auf der Behandlung von funktionellen und entzündlichen Magen- und Darmerkrankungen. In diesem Zusammenhang sieht er viele Patienten mit einem Reizdarmsyndrom, Reizmagen, Sodbrennen, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Leaky Gut, Histaminintoleranz, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Zöliakie und anderen Verdauungskrankheiten.

Durch seine langjährige Tätigkeit kennt er die Fragen und Probleme der Patientinnen und Patienten. Seine Erfahrungen aus unzähligen Rückmeldungen von Betroffenen fließen in seine Ratgeber ein. Vor allem in der ganzheitlichen Medizin, der Ernährungstherapie und in der Anwendung von Positiver Psychologie ist Prof. Storr einer der führenden Experten.

In seinem neuesten Buch „Sofortratgeber Leaky Gut“ gibt er praktische Tipps für den Umgang mit dem Leaky-Gut-Syndrom.

Interview mit Prof. Dr. Martin Storr zum Leaky-Gut-Syndrom

Leaky Gut (zu Deutsch: löchriger Darm), das klingt erstmal sehr unappetitlich. Haben Patienten mit dieser Diagnose wirklich Löcher im Darm?

Prof. Dr. Martin Storr: Beim Leaky Gut handelt es sich um Veränderungen, die sich an der Darmbarriere abspielen. Die Darmbarriere ist, bildlich gesprochen, unsere Grenze zwischen innen und außen. Sie soll offen sein für Nährstoffe, Vitamine und Spurenelemente, die wir aufnehmen wollen, aber geschlossen sein für Giftstoffe, unverdaute, große Nahrungsbestandteile, Bakterien und Sonstiges, was uns Schaden zufügen kann.

Wenn diese Darmbarriere, die aus mehreren Schichten besteht, durchlässiger wird, als sie sein sollte, dann sprechen wir wissenschaftlich von einer Durchlässigkeitsstörung (Permeabilitätsstörung). In der Laienliteratur hat sich hierfür der Begriff Leaky Gut etabliert, ein Begriff, den ich persönlich für ausgesprochen zutreffend erachte. Um echte Löcher handelt es sich aber nicht. Es geht beim Leaky Gut darum, dass die vorhandenen Öffnungen zu lange offen bleiben, zu den falschen Zeitpunkten offen sind oder zu oft aufmachen.

Was verursacht das Leaky-Gut-Syndrom?

Dr. Storr: Beim Leaky-Gut-Syndrom geht es nun darum, dass an der Darmbarriere zu viele ungewollte Substanzen von außen nach innen gelangen. Dadurch entstehen an der Darmbarriere Entzündungsvorgänge, die der Darmbarriere weiter zusetzen. Direkt am Darm, also darmnah, und an anderer Stelle im Körper, also darmfern, entstehen durch diese Entzündungsvorgänge und diese eindringenden Substanzen Symptome oder es werden sogar Erkrankungen wie Autoimmunerkrankungen ausgelöst.

Woran merkt man, das man am Leaky-Gut-Syndrom leidet? Welche Symptome zeigen sich?

Dr. Storr: Das ist gar nicht so einfach, weil das Leaky-Gut-Syndrom mit verschiedensten darmnahen und verschiedensten darmfernen Beschwerden und Erkrankungen assoziiert ist. Das Beschwerdebild ist daher sehr variabel und sehr individuell.

Beschwerden am Darm ähneln Verdauungsbeschwerden wie sie beim Reizdarmsyndrom und anderen Darmerkrankungen vorkommen können. Die darmfernen körperlichen Beschwerden sind geprägt von Kopfschmerzen, allergischen Beschwerden, laufender Nase, Hautproblemen, Gelenkentzündungen, Muskelschmerzen, Stimmungsschwankungen, Ängstlichkeit, Abgeschlagenheit, Depressionen, Leistungsknick in variabler Ausprägung. Ganz klar definierende Symptome, die eine Diagnose nur anhand der Symptome erlaubt, gibt es leider nicht.

Auf was sollte ich beim Arztbesuch achten, wenn ich den Verdacht habe, an Leaky Gut zu leiden? Zu welchem Arzt sollte ich gehen? Welche Fragen sollte ich stellen?

Dr. Storr: Bei zu einem Leaky Gut passenden Beschwerden ist der erste Ansprechpartner immer der Hausarzt, der mit Zuhören und gezielten Untersuchungen oftmals schon die Verdachtsdiagnose stellen kann. In der weiteren Folge wird es auch einen Magen-Darm-Arzt, einen Gastroenterologen benötigen.

Bei der Auswahl des Gastroenterologen ist schon im Vorfeld darauf zu achten, dass der Gastroenterologe nicht nur die Magen- und Darmspiegelung durchführt, sondern sich schon im Vorfeld mit dem Krankheitsbild beschäftigt und ein nachfolgendes Gespräch anbietet, ansonsten ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass einem im Nachhinein geholfen wird.

Bei Leaky Gut Beschwerden rate ich auf jeden Fall davon ab, eine Diagnostik ohne vorangegangenes Gespräch durchführen zu lassen. Ebenso rate ich sehr davon ab, internetbasierte Diagnostik ohne ärztliche Begleitung durchführen zu lassen, hier ist Frustration vorprogrammiert

Nun ist es soweit und man bekommt die Diagnose Leaky-Gut-Syndrom: Was kann man nun tun? Lässt sich Leaky Gut behandeln oder sogar heilen?

Dr. Storr: Die Diagnose Leaky Gut alleine hilft einem noch nicht weiter, denn um bei einem Leaky Gut eine Besserung herbeizuführen, gilt es schrittweise vorzugehen. Der erste Schritt bei der Behandlung ist es, mögliche mitauslösende Erkrankungen ausreichend sicher zu identifizieren, denn wenn ein Auslöser bzw. Mitauslöser nicht erkannt wird, ist die Gefahr groß, dass die Beschwerden dauerhaft bestehen bleiben

Im zweiten Schritt ist es wichtig, mit dem Haus- und dem Facharzt die richtige Diagnostik, sei es medizinische Diagnostik oder ergänzende Diagnostik, zu besprechen. Wenn es dann an die Therapie geht, dann sind zunächst Ernährungsumstellungen hilfreich, die entweder der klassischen Reizdarm-Diät, also der FODMAP-Diät, folgen oder die eine darmschonende Leaky Gut Kostform also die VERUM-Diät berücksichtigen.

Vergleich zwischen einem normalen Darm und einem Darm mit Leaky-Gut-Syndrom

Links: Eine gesunde Darmbarriere wehrt Giftstoffe ab; Rechts: Das Leaky-Gut-Syndrom schwächt die Darmbarriere und Giftstoffe gelangen in die Blutbahn.

Da es sich beim Leaky Gut um eine Erkrankung der Darm-Hirn-Achse handelt, sind bei den therapeutischen Maßnahmen vor allem auch psychodynamische Maßnahmen wie Positive Psychologie (Positiv-Tagebuch für meinen Bauch), darmbezogene Hypnotherapie (Darmhypnose), darmbezogene Stressreduktion mit Achtsamkeit (Mindful Darm), progressive Muskelrelaxation für den Darm und spezielles Reizdarm-Yoga als ausgesprochen hilfreiche Maßnahmen anzusehen.

Weitere Therapie-Maßnahmen zielen darauf ab, das Mikrobiom am Darm zu optimieren, Entzündungsvorgänge an der Darmbarriere zu reduzieren, einzelne Symptome gezielt zu lindern oder Enzyme, Vitamine und Spurenelemente zu ergänzen.

Wenn es gelingt die Ursachen zu identifizieren, die Ernährung zu optimieren, den Körper mit entsprechenden Maßnahmen zu entspannen, eine Stressreduktion zu erzielen sowie geeignete andere Maßnahmen zu ergänzen, gelingt es sehr häufig die Beschwerden des Leaky Gut vollständig zu kontrollieren. Im weitesten Sinne kann man dann auch von Heilung sprechen.

In Ihrem neuen Buch „Sofortratgeber: Leaky Gut“ sprechen sie über Entspannungstechniken für Betroffene. Welche Entspannungstechniken eignen sich Ihrer Meinung nach am meisten und warum?

Dr. Storr: Entspannungstechniken sind aus der Positiven Psychologie entlehnte Therapieformen und gehören mit zu den am besten etablierten Therapieverfahren, wenn es darum geht die Darmbarriere zu optimieren und lokale sowie systemische Beschwerden zu kontrollieren. Das liegt daran, dass neben der Darmbarriere die Darm-Hirn-Achse ein zweiter zentraler Baustein bei der Entstehung von Beschwerden ist. Diese Darm-Hirn-Achse kann man gezielt durch meditative und entspannende Techniken beruhigen, ja sogar das Schmerzempfinden und das Schmerzgedächtnis positiv beeinflussen und korrigieren.

Mit Darmhypnose, achtsamkeitsbasierter Stressreduktion und einem Positiv-Tagebuch gelingt es Beschwerden dauerhaft, wirklich dauerhaft, zu beseitigen. Das haben klinische Studien eindrucksvoll belegt. Gerade der Aspekt der Dauerhaftigkeit ist etwas, was sich meine Patienten sehr oft im Beratungsgespräch wünschen. Entsprechend oft empfehle ich, diese exzellent wirksamen Maßnahmen anzuwenden.

Welche Nahrungsergänzungsmittel und Probiotika können Betroffene verwenden und was sollte beim Kauf beachtet werden?

Dr. Storr: Das hängt ganz vom Beschwerdebild und den führenden Symptomen ab. Sind die Beschwerden sehr ernährungsassoziiert, ist das Führen eines fachlich fundierten Ernährungs-Symptom-Tagebuchs mit Belastungstabellen, gefolgt von möglicherweise gezielten Eliminationen oder Enzymeinnahmen hilfreich. 

Sind es mehr die Mediatoren (Botenstoffe) und entzündliche Vorgänge, die die Beschwerden verursachen, dann sind sehr oft pflanzliche Präparate (Phytotherapie) oder Heilerden hilfreich. Geht es mehr um den generellen Darmbarriere Schutz, dann helfen oftmals Xyloglucane, Präbiotika, Probiotika und wasserlösliche Ballaststoffe.

Wichtig bei all diesen Maßnahmen: Es gibt bei den Präparaten keine Pauschallösung, die allen hilft, ohne dass über den Einzelfall nachgedacht wird. Jeder Betroffene sollte sich mit seinem individuellen Krankheitsbild, seinen Symptomen und seinen möglichen Auslösern beschäftigen und dann gezielt, idealerweise nach Rücksprache mit einem Arzt, einzelne Maßnahmen, Schritt für Schritt ausprobieren. Dafür braucht es aber auch ausreichend Hintergrundinformation.

Man sollte zumindest ein Buch lesen oder ein Patientenseminar besuchen. Nur oberflächliches Stöbern hilft nicht weiter, da sich nie ein eigenes Verständnis aufbauen kann. Durch ein sorgfältiges, informiertes Vorgehen kommt man viel besser zum gewünschten Therapieerfolg als durch blinden Aktivismus. Uninformiert sein und die ungezielte Kombination von verschiedensten Einnahmen zu Beginn der Therapie sind ungünstige Voraussetzungen, wenn es dem Leaky Gut an den Kragen gehen soll.

Bei den Einnahmen sollte idealerweise jeder darauf achten, dass Nahrungsergänzungsmittel, pflanzliche Präparate und Probiotika vom Arzt empfohlen werden oder zumindest fachlich fundiert sind, denn durch falsche Einnahmen kann auch vieles verschlimmert werden. Gerade dies war ein ganz wichtiger Grund, weshalb ich den „Sofortratgeber: Leaky Gut“ geschrieben habe, um die Spreu vom Weizen zu trennen und um zu verhindern, dass Menschen mehr an Nebenwirkungen leiden, als dass sie positive Wirkungen verspüren.

Wie kann ich verhindern, am Leaky-Gut-Syndrom zu erkranken?

Dr. Storr: Zunächst gilt es zu bedenken, dass wir uns nicht auf jede Krankheit vorbereiten können. Vieles an unserer Gesundheit verbleibt schicksalshaft. Nicht so beim Leaky Gut, hier kann einiges getan werden. Um einen Leaky Gut zu verhindern, bietet es sich an einen gesunden Lebensstil zu pflegen, auf ausreichend Stressreduktion und körperliche Bewegung zu achten sowie die Ernährung frisch, gesund und ausgewogen zu halten. Darüber hinaus ist nichts Weiteres bekannt, um einen Leaky Gut zu verhindern.

Welche Regeln befolgen Sie persönlich im Alltag, um Ihren Darm langfristig gesund zu halten?

Dr. Storr: Ich persönlich bemühe mich, wie die meisten meiner Patienten, tatsächlich einen körperlich gesunden, psychisch gesunden und nachhaltigen Lebensstil zu pflegen. Ich habe in meinem Leben genügend Raum für Stressreduktion, bin großer Freund der Positiven Psychologie im Alltag, achte auf eine ausgewogene und frische Ernährung, frei von industriell gefertigten Lebensmitteln, und bin auch ansonsten ein positiver Mensch, eine Einstellung mit der man sehr weit kommt. Vor allem wenn es darum geht den Darm gesund zu halten, das hat uns die Forschung zur Darm-Hirn-Achse gelehrt.

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